Frauen am Ruder? Das war hierzulande lange ein Ding der Unmöglichkeit. Nachdem 1775 die Herren der Schöpfung auf der Themse den ersten Ruderwettkampf der Neuzeit austrugen, dauerte es bis 1928, ehe mit der Rudergesellschaft Germania der erste Verein in Kiel Frauen aufnahm. Mit einem kleinen Fest und einer Ausfahrt ist der 85. Jahrestag dieser emanzipatorischen Zäsur am Sonnabend gefeiert worden.
Frauen nur der Einnahmen wegen
Wer denkt, die Männer der Germania seien damals schon ganz schön aufgeschlossen gewesen, täuscht sich freilich. Schnödes Kalkül stand hinter dieser kleinen Revolution, denn dem Verein mangelte es damals an Geld. Also gründete der damalige Vorsitzende Friedrich Busse eine Damenabteilung, die der Rudergesellschaft neue Mitglieder und damit Einnahmen bringen sollten.
Großer Zuwachs beim Frauenrudern
Dennoch können offenkundig auch wenig edle Beweggründe positive Entwicklungen auslösen. Nachdem sich 1931 mit dem von Germania-Damen aus der Taufe gehobenen Kieler-Damen-Ruderclub ein weiterer Verein gründete, übten im Jahr darauf bereits 600 Frauen und Mädchen diesen Sport aus.
Nur Stilrudern war erlaubt
Ganz so lange währt die Karriere Gudrun Koch zwar nicht, immerhin ist sie aber
schon seit 1962 dabei. „Es war eine andere Zeit damals“, sagt sie und erinnert sich mit leichtem Schmunzeln daran, dass selbst in den 1960-er Jahren Wettbewerbe nach Art der Männer als irgendwie unschicklich galten. Die Frauen mussten sich mit dem sogenannten Stilrudern begnügen, bei dem es eine B-Note für die Gleichmäßigkeit der Bewegung, die Haltung und die Kleidung gab.
Nationale und internationale Erfolge
Dass das Quatsch war, zeigte sich alsbald. Nachdem das Stilrudern abgeschafft war, holten die Damen der Germania allein zwischen 1966 und 1973 neun deutsche Meisterschaften und Europameisterschafts-Bronze im Vierer. Passend zum Jubiläum setzte Frieda Hämmerling dieses Jahr die Tradition fort. In der Altersklasse U 17 wurde sie deutsche Meisterin im Doppelzweier und Doppelvierer.
Frauenrudern selbstverständlich
Vorsitzender Uwe Zwingmann freut sich auch sonst über ausgesprochen präsente Weiblichkeit in seinem Verein. 130 der 323 Mitglieder sind Mädchen oder Frauen, also etwa 40 Prozent. Bei den 60 unter 18-jährigen Germanianern ist das Geschlechterverhältnis nahezu ausgeglichen. „Das hat sich einfach so ergeben, wir mussten nichts Besonderes dafür tun“, verweist Zwingmann darauf, wie selbstverständlich rudernde Frauen inzwischen geworden sind. Übrigens auch auf Vorstandsebene. Seit Wilma Rehder 1966 zur Dritten Vorsitzenden gewählt wurde, sind stets Frauen in der Vereinsführung vertreten. Und hätte die 2011 zur Vorsitzenden gewählte Sabine Köhler ihr Amt im Februar nicht aus gesundheitlichen Gründen abgeben müssen, wäre zum 85. Jahrestag sogar eine Frau am Chef-Ruder gewesen.
Jugend am Rudern interessiert
Nicht sehr überraschend ist, dass eine der wichtigsten Initiativen des Vereins von zwei Frauen ausging. Wilma Rehder und Ingrid Troue führten 1968 gegen den erbitterten Widerstand vornehmlich älterer Herren das Rudern für Mädchen und Jungen ab zehn Jahren ein. Gut, dass sich die Frauen durchsetzen konnten, denn ihre Idee gebar eine wahre Erfolgsgeschichte. Seit Jahrzehnten kooperiert die Germania mit dem Ernst-Barlach-Gymnasium, der Ricarda-Huch-Schule und dem Gymnasium Kronshagen, so dass stetig und reichlich Nachwuchs dazustößt. Als einer der wenigen Vereinsvorsitzenden muss Uwe Zwingmann sich deshalb keine Sorgen über mangelndes Interesse der Jugend machen.
Quelle: Martin Geist, Kieler Nachrichten, 29. Juli 2013